So oft müssen Häftlinge in Deutschland in den „Bunker“


Sie werden „Bunker“ genannt. Ähnlich kann man sich sogenannte besonders gesicherte Hafträume (kurz bgH) vorstellen: kein Fenster, kein Tisch, kein Stuhl. Es gibt nur eine Matratze, eine Metallsteckdose im Boden als Toilette und manchmal eine Kamera in der Ecke. Gefangene dürfen nur Papierkleidung tragen.

Gemeinsam mit Deutschlandfunk Kultur haben wir erstmals erhoben, wie oft zwischen 2019 und 2023 Häftlinge in Deutschland in diesen „Bunkern“ untergebracht wurden. In den von uns veröffentlichten Zahlen stechen einige Städte heraus: Bremen, Würzburg und Augsburg-Gablingen, deren Der Justizvollzugsanstalt (JVA) wird Folter vorgeworfen. Der Bayerische Rundfunk berichtete kürzlich, dass dort Menschen nackt, ohne Matratzen und Decken eingesperrt worden seien.

Häftlinge werden in besonders gesicherten Zellen untergebracht, wenn sie sich selbst oder andere gefährden. Den Gefangenen droht dann beispielsweise Suizid oder Gewalt. Eigentlich sollte dies die Ausnahme sein, denn es handelt sich um eine der härtesten Maßnahmen im Strafvollzug. Doch in deutschen Gefängnissen scheint es Alltag zu sein. Bundesweit mussten Häftlinge im vergangenen Jahr mindestens 7.275 Mal in besonders gesicherte Zellen.

FragDenStaat hat gemeinsam mit Deutschlandfunk Kultur Statistiken aus allen Ländern durch Presse- und Informationsfreiheitsanfragen zusammengestellt. Die tatsächlichen Zahlen dürften deutlich höher liegen. Länder wie Hamburg und Sachsen-Anhalt gaben auf Nachfrage bekannt, dass ihre Statistiken fehlerhaft seien oder gar nicht geführt würden.

Im Vergleich zu Deutschland ist Bremen ein Ausreißer. Dort stieg die Zahl der Unterbringungen in „besonders gesicherten Hafträumen“ besonders stark an. Im Jahr 2019 wurde 54 Mal ein Gefangener in diesen Zellen untergebracht. Im Jahr 2023 geschah dies 362 Mal. Damit liegt Bremen deutlich über dem Bundesdurchschnitt.

Der Bremer Justizsenat nennt mehrere Gründe für den rasanten Anstieg. Durch die EnchroChat-Prozesse füllten sich die Untersuchungshaftanstalten in Bremen, Häftlinge nahmen vermehrt psychoaktive Drogen und Häftlinge mit psychischen Störungen wurden wegen Eigen- und Fremdgefährdung besonders häufig in besonders gesicherten Zellen untergebracht. In den Spezialzellen werden auch Menschen eingesperrt, die sich in einem Drogenentzug befinden.

EnchroChat war eine Messenger-App, die vor allem von Kriminellen genutzt wurde. Den Ermittlern gelang es, Spyware in der App zu installieren. Im Jahr 2020 wurden zahlreiche Verdächtige festgenommen. Das Gerichtsverfahren läuft noch heute.

Wie kam es zur „Bunkersituation“?

Der Prozentsatz beschreibt das Verhältnis der Isolationen im Verhältnis zur durchschnittlichen Zahl der Gefangenen pro Jahr. Die Entwicklung erfolgt zwischen 2019 und 2023.

Bremen ist ein kleines Bundesland mit nur einer Justizvollzugsanstalt. Im Jahr 2023 saßen dort täglich durchschnittlich 637 Menschen. „Die Auslastung unserer Justizvollzugsanstalt liegt inzwischen auf einem dauerhaft hohen Niveau, so dass statistisch gesehen mit einem proportionalen Anstieg der besonderen Sicherheitsmaßnahmen zu rechnen ist“, erklärt der Justizsenat auf Anfrage.

Im Gegensatz zu Bremen fällt Sachsen-Anhalt zunächst durch besonders wenige Unterbringungen in besonders gesicherten Zellen auf. Auf Anfrage des Justizministeriums stellte sich jedoch heraus, dass die Statistik „möglicherweise nicht gültig oder unvollständig“ sei. Deshalb wurde eine Untersuchung eingeleitet. „Das wird voraussichtlich bis Anfang nächsten Jahres dauern“, teilte das Justizministerium Sachsen-Anhalt mit.

In Hamburg ist es ähnlich. Dort erfasst die Justizbehörde keine Daten zu „besonderen Sicherheitsmaßnahmen“. Auf Nachfrage sagte die Behörde, die Situation sei vorübergehend. „Wir arbeiten intensiv daran, die Datenerhebung und -auswertung so zu gestalten, dass die Daten zeitnah ausgewertet werden können“, schreibt die Hamburger Justizbehörde.

Wie viele Gefangene kommen in den „Bunker“?

Anzahl der Isolationen in besonders gesicherten Hafträumen (kurz bgH) im Jahr 2023

In einem Gefängnis kommen und gehen fast täglich Insassen. Deshalb wird im Diagramm die durchschnittliche Auslastung pro Jahr dargestellt. Darunter sind Häftlinge, die im selben Jahr mehrfach isoliert wurden. Allerdings erfassen die Statistiken nicht, wie lange die Isolation anhält.

Wenn die Isolation länger als zwei oder drei Tage dauert, sind Gefängnisse in einigen Ländern verpflichtet, dies ihren Justizministerien zu melden. Demnach musste mehr als jeder fünfte isolierte Mensch in Sachsen länger als zwei Tage in der Sonderzelle bleiben. In Niedersachsen war rund jeder sechste isolierte Mensch länger als drei Tage eingesperrt.

Wie ist die Lage in Bayern?

Anzahl der Isolationen männlicher Insassen in ausgewählten bayerischen Justizvollzugsanstalten im Jahr 2023

In der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen wurden im vergangenen Jahr 125-mal Häftlinge in besonders gesicherten Zellen untergebracht. Das ist viel bei einer durchschnittlichen Belegung von 520 Insassen pro Jahr. Ehemalige Häftlinge berichteten, dass sie beim Reinigen der „Bunker“ Blut aufgewischt hätten. In der Justizvollzugsanstalt Würzburg gibt es sogar noch mehr Unterbringungen in besonders gesicherten Zellen: 172 Mal im vergangenen Jahr mit durchschnittlich 354 Gefangenen.

→ Anfragen zu den besonders gesicherten Hafträumen

→ Dokumente aus der Gefängnisstatistik der Länder

Besondere Sicherheitsmaßnahmen: Auszug aus der Gefängnisstatistik aller Bundesländer. Ohne Jugendarrest.
Jährliche durchschnittliche Auslastung Unterbringung in einer besonders gesicherten Zelle ohne gefährliche Gegenstände Unterbringung in einer besonders gesicherten Zelle ohne gefährliche Gegenstände / Belegung im Jahresdurchschnitt
2019 2020 2021 2022 2023 2019 2020 2021 2022 2023 2019 2020 2021 2022 2023
Baden-Württemberg 7392 6667 6600 6488 6880 806 736 1005 1015 1189 0,11 0,11 0,15 0,16 0,17
Bayern 11174 10108 9601 9032 9445 1316 1199 1248 1201 1308 0,12 0,12 0,13 0,13 0,14
Berlin 3218 3297 3380 379 477 446 0,12 0,14 0,13
Brandenburg 1104 1110 1150 1114 156 273 282 160 0,14 0,25 0,25 0,14
Bremen 631 584 569 563 637 54 162 217 275 362 0,09 0,28 0,38 0,49 0,57
Hamburg
Hessen 4229 3916 3918 3859 4041 511 492 575 647 601 0,12 0,13 0,15 0,17 0,15
Mecklenburg-Vorpommern 948 844 899 908 866 31 50 82 126 112 0,03 0,06 0,09 0,14 0,13
Niedersachsen 4381 4075 4202 4188 4451 626 513 530 484 526 0,14 0,13 0,13 0,12 0,12
Nordrhein-Westfalen 13266 13266 12998 12977 13393 1379 1379 1422 1641 1783 0,10 0,10 0,11 0,13 0,13
Rheinland-Pfalz 3507 3352 4331 4703 168 184 259 228 0,05 0,05 0,06 0,05
Saarland 700 780 820 13 25 42 0,02 0,03 0,05
Sachsen 3118 2779 2667 2676 2755 341 320 298 256 243 0,11 0,12 0,11 0,10 0,09
Sachsen-Anhalt 1741 1596 1533 1472 1436
Schleswig-Holstein 1059 1137 98 74 121 0,07 0,11
Thüringen 1395 1333 1355 1242 1247 118 97 134 97 154 0,08 0,07 0,10 0,08 0,12



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