Kriegskriege: Steuergelder für Nazi-Kollaborateure


Sie gehörten zum Personal der Konzentrationslager, schlossen sich den ausländischen Freiwilligen der Waffen-SS an oder beteiligten sich an den Massakern der Wehrmacht. Und bis an ihr Lebensende profitierten sie finanziell davon, dass sie auf der Seite der Täter standen. Einige von ihnen profitieren noch heute. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bezahlt Deutschland immer noch frühere Nazi-Soldaten in ganz Europa – darunter auch mutmaßliche Kriegsverbrecher.

Zusammen mit der Stern Wir haben Kampfkörper für Nazi-Kollaborateure recherchiert. Wir haben bei allen zuständigen Rententrägern in Deutschland nachgefragt, wie viele Menschen noch solche Zuzahlungen zur Rente erhalten. Das Ergebnis zeigt, dass Deutschland immer noch Angehörige der Waffen-SS im Ausland und damit möglicherweise auch mutmaßliche Kriegsverbrecher finanziell fördert und die vielbeschworene Aufarbeitung bis heute kaum von Nutzen ist.

Zusätzliche Zahlungen für Kriegsverbrecher

Wie kann es sein, dass ehemalige NS-Kollaborateure zusätzliche Rentenzahlungen erhalten? Grund hierfür ist das 1950 eingeführte Bundesversorgungsgesetz. Danach haben ehemalige SS-Angehörige und Wehrmachtssoldaten Anspruch auf einen sogenannten „Kriegskrieg“, wenn sie im Zusammenhang mit ihrem Dienst in irgendeiner Weise verwundet wurden. Die Schwelle hierfür war sehr niedrig. Ein ehemaliger KZ-Wärter kümmerte sich jahrzehntelang um Kriegsopfer, weil bei ihm nach dem Krieg eine Nierenschädigung diagnostiziert wurde. Dies sei entstanden, weil er während seiner zehntägigen Gefangennahme auf dem kalten Steinboden schlafen musste, argumentierte er. Sogar berüchtigte Kriegsverbrecher oder ihre Hinterbliebenen wurden als Opfer des Krieges angesehen. So zum Beispiel Heinz Barth, verantwortlich für das Massaker im französischen Oradour, bei dem 643 Menschen ermordet wurden. Auch Adolf Hitler hätte Anspruch auf eine Zusatzrente gehabt. Schließlich wurde er bei dem Stauffenberg-Angriff leicht verletzt.

Der Rentenanspruch gilt auch für ausländische Kollaborateure, die sich in ganz Europa freiwillig den Nazis angeschlossen und in eigenen SS-Verbänden aktiv waren. Die ausländischen SS-Verbände waren an der Judenverfolgung und an Einsätzen gegen Partisanen in ihren Heimatländern beteiligt. Einem größeren Publikum wurde dieses Thema erstmals in den 1990er-Jahren bekannt als durch das ARD-Magazin Panorama berichtete über Mitglieder lettischer SS-Verbände. Durch ihre Mitgliedschaft in Einheiten, die für Kriegsverbrechen verantwortlich waren, erhielten die Männer aus Deutschland jeden Monat das Siebenfache der örtlichen Rente.

Mitte der neunziger Jahre zahlte der deutsche Staat jährlich rund 13 Milliarden Mark an Meister. Historikern zufolge gingen rund fünf Prozent der Zahlungen an mutmaßliche Kriegsverbrecher, also mehr als 600 Millionen Mark pro Jahr. Dies entspricht der heutigen Kaufkraft von knapp 650 Millionen Euro.

Versprochene Verbesserungen scheiterten

Diese üppigen Zahlungen an ehemalige NS-Soldaten und NS-Kollaborateure sind angesichts des Umgangs mit den Opfern des NS-Regimes besonders schockierend. Denn während NS-Täter europaweit ihre Zusatzrente beantragen konnten und sofort ausgezahlt wurden, verweigerte der deutsche Staat mehreren Holocaust-Überlebenden und anderen Opfern der NS-Ideologie jegliche Entschädigung für ihr unglaubliches Leid.

Der deutsche Staat hatte in den 1990er Jahren tatsächlich Besserung versprochen. Aus der öffentlichen Debatte aufgrund der Panorama-Berichterstattungspflicht: Die Bundesregierung hat 1998 das Bundesversorgungsgesetz reformiert. Von da an war es möglich, Kriegsopfern im Stich zu lassen, wenn jemand „gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen“ hatte. Hinweise darauf könnten sich insbesondere aus der freiwilligen Mitgliedschaft in der Waffen-SS ergeben.

Tatsächlich brachte diese Novelle keine wesentliche Veränderung. Damals ermittelte das Simon-Wiesenthal-Zentrum rund 70.000 Menschen, denen die Opferrente entzogen werden konnte. Allerdings wurden seit Einführung des neuen Gesetzesvorschlags nur 99 Kriegstäter aus dem Krieg gestrichen, während Tausende mutmaßliche Kriegsverbrecher weiterhin zusätzliches Geld vom deutschen Staat erhielten. Einige davon bis heute.

Immer noch Geld für SS-Männer im Ausland

Nach Berechnungen des Stern Der deutsche Staat gibt immer noch mehr als fünf Millionen Euro pro Jahr für Meister aus. Die Zahlungen gehen auch an rund 650 Kriegsbewusste im Ausland. Bei den Empfängern handelt es sich sowohl um im Ausland lebende Deutsche als auch um ausländische Nazi-Kollaborateure. Die Rentenzahlungen liegen zwischen 164 und 1055 Euro im Monat und sind steuerfrei. Durchschnittlich erhielt der Empfänger 7.000 Euro im Jahr, teilweise über 70 Jahre hinweg.

Überträgt man den von Experten geschätzten Prozentsatz der mutmaßlichen Kriegsverbrecher, würde das bedeuten, dass sogar mehr als 30 NS-Täter im Ausland regelmäßige Zuzahlungen erhalten. Nach unseren Recherchen gehören mindestens vier ehemalige Soldaten der Waffen-SS zu den mehreren Hundert Menschen, die derzeit eine Zusatzrente im Ausland beziehen. Zwei in den Niederlanden, einer in Norwegen, einer in Schweden. Dies sind jedoch nur die Fälle, die zweifelsfrei nachgewiesen werden können. Die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher liegen. Denn nicht jede zuständige Stelle erfasst auch, ob ein Kriegsopferempfänger in der SS war. Manche Behörden könnten es wissen, weisen aber einfach darauf hin, dass sie keine gesonderten Statistiken führen.

→ Hier sind die Anfragen

→ Hier ist die Berichterstattung der Stern



Automotive

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *