Weltklimakonferenz in Aserbaidschan: Klimafinanzierung schöngerechnet


Fast zehn Milliarden Euro hat Deutschland im Jahr 2023 als Klimafinanzierung für Länder des Globalen Südens bereitgestellt. Zum Globalen Süden zählen Länder, die durch eine globalisierte Welt politisch, wirtschaftlich oder gesellschaftlich benachteiligt sind. „Deutschland leistet erneut einen fairen Anteil“, prahlte die Bundesregierung im September 2024. Im Vorjahr sprach man sogar von einem „Rekordniveau“. Ziele seien nicht nur erreicht, sondern übertroffen worden. Aber was steckt hinter diesen Milliarden? In welche Projekte floss das Geld? Und wurde es tatsächlich ausgegeben?

Das alles sind Fragen, die wir uns in den letzten Monaten gestellt haben. Denn auf der diesjährigen Weltklimakonferenz (COP29), die am Montag in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku beginnt, wird entschieden, wie es mit der internationalen Klimafinanzierung weitergeht. Also haben wir recherchiert, Daten gesammelt und analysiert.

Die Datenlage ist unübersichtlich und intransparent. Die Industriestaaten reizen die vage Definition von Klimafinanzierung aus und rechnen sich Projekte an, die nur entfernt mit Klimaschutz oder Klimaanpassung zu tun haben. Und ein Großteil der Summe, die als Klimafinanzierung berichtet wird, sind Kredite, die in Ländern des Globalen Südens zu mehr Schulden führen.

Kredite statt Zuschüsse

Im Jahr 1992 wurde die UN-Klimarahmenkonvention unterschrieben. Das Ziel: Die globale Erwärmung verlangsamen. Unter anderem verpflichteten sich die Industriestaaten dazu, Länder des Globalen Südens finanziell für Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung zu unterstützen. Dies wird als Klimafinanzierung bezeichnet. Denn die Klimakrise trifft die Menschen im Globalen Süden, obwohl sie weniger dazu beitragen, weitaus stärker als die Industriestaaten des Globalen Nordens.

100 Milliarden US-Dollar jährlich wollten die Industriestaaten bis 2020 zur Verfügung stellen. Dazu haben sie sich auf mehreren Weltklimakonferenzen in den letzten 15 Jahren bekannt. Erreicht wurde dieses Ziel jedoch erstmals im Jahr 2022 – in diesem Jahr feierte auch Deutschland ein „Rekordniveau“. Was bei dem Jubel ausgespart wurde: Das meiste Geld wird in Form von Krediten zur Verfügung gestellt. 

Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Entwicklungsorganisation Oxfam. Die Analyst*innen sagen, dass zwei Drittel der 100 Milliarden US-Dollar in Form von Krediten vergeben wurden. Das heißt, die tatsächlichen Ausgaben der Industriestaaten sind gering. Denn die Kredite müssen Empfängerländer wieder an die Industriestaaten zurückzahlen. 

Jan Kowalzig von Oxfam Deutschland hat federführend an der Analyse gearbeitet. Er findet Kredite nicht per se schlecht. Sie können sinnvoll sein, wenn damit Projekte finanziert werden, die verlässlich Einkünfte erzielen. Bei der Unterstützung zur Anpassung an den Klimawandel brauche es allerdings keine Kredite, sondern Zuschüsse. „Es geht darum, Menschen vor künftigen Umweltkatastrophen zu schützen. Dabei kann auf Wirtschaftlichkeit nicht spekuliert werden“, erklärt Kowalzig. „Hier mit Krediten zu arbeiten bedeutet, die Kosten letztlich auf die Menschen in den gefährdeten Ländern abzuwälzen.“

Wir haben uns die Daten von Deutschland für das Jahr 2023 genauer angesehen.

Im Jahr 2023 hat Deutschland 9,94 Milliarden Euro als Klimafinanzierung zur Verfügung gestellt. Doch mehr als die Hälfte davon sind keine Zuschüsse, sondern Kredite.

5,1 Milliarden Euro der knapp 10 Milliarden sind Kredite. 0,47 Milliarden Euro davon sind private Investitionen mit Klimabezug. Auch diese rechnet Deutschland als Teil der völkerrechtlich verpflichtenden Klimafinanzierung an.

Die restlichen 4,8 Milliarden Euro sind Zuschüsse.

  • 3,6 Milliarden Euro gehen direkt an die Empfängerländer (bilateral).
  • 1,2 Milliarden Euro gehen an Klimafonds oder internationale Organisationen (multilateral).

Dass so viele Kredite vergeben werden, bringt Deutschland den Vorteil, dass ein zusätzlicher Wert angerechnet werden kann: das Schenkungsäquivalent. Dadurch wirken die Kredite im Verhältnis zu den Zuschüssen kleiner. 

Das Schenkungsäquivalent ist ein rechnerischer Wert. Industrieländer wie Deutschland zahlen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stellung weniger Zinsen als Länder des Globalen Südens. Deutschland vergibt im Rahmen der Klimafinanzierung zinsvergünstigte Kredite und nicht zu üblichen Marktkonditionen. Das heißt, die Empfängerländer sparen sich dadurch Geld. Und diese Summe, die sich die Empfängerländer sparen, können sich die Industriestaaten wiederum als Teil ihrer Zuschüsse im Rahmen der Klimafinanzierung anrechnen lassen. 

Von den knapp zehn Milliarden Euro, die Deutschland im Jahr 2023 als Klimafinanzierung deklariert hat, sind 440 Millionen Euro als Schenkungsäquivalente ausgewiesen. 

Aber egal ob als Kredit oder Zuschuss, in welche Projekte fließen die zehn Milliarden Euro?

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten und zeigt, wie intransparent das System Klimafinanzierung ist. Ein Grund dafür ist, dass es keinen Datensatz gibt, der aktuell ist und detaillierte Projektbeschreibungen enthält.

Es gibt mehrere Datenbanken, die  Klimafinanzierung abbilden. Als erstes natürlich jene von den Vereinten Nationen, genauer der UN Climate Change Conference (UNFCCC). Das Problem mit dieser Datenbank ist, dass die Geberländer nur selten ihre Daten melden und sie daher nicht aktuell sind. Die Zahlen reichen nur bis zum Jahr 2020. Die Europäische Union (EU) hat eine eigene Klimafinanzierungs-Datenbank. Mitgliedstaaten, wie Deutschland, berichten dorthin,  annähernd alles, was sie auch an die UN berichten würden – allerdings früher. Diese Daten gehen bis zum Jahr 2023. Die Daten, die wir für 2023 analysiert haben, stammen aus der Datenbank der EU.

Diese beiden Datenbanken sind jedoch fast nutzlos, um nachzuvollziehen, in welche Projekte die Klimafinanzierung floss. Denn sie enthalten keine ausführlichen Projektbeschreibungen. Deshalb verwenden viele eine weitere Datenbank, jene der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD). So stützt auch Oxfam seine Analyse zum Kreditanteil an der Gesamtsumme auf die Daten der OECD.

Bei den Daten der OECD handelt es sich allerdings nicht um die exakten Zahlen zur Klimafinanzierung, die über die UN-Klimarahmenkonvention völkerrechtlich verpflichtend ist, sondern um sogenannte „klimarelevante Entwicklungshilfe“. Es können daher keine rechnerischen Schlüsse zur Gesamtsumme gezogen werden, da die Datenbanken nicht identisch sind und Projekte zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingetragen werden

Dennoch sind die Projekte, die Deutschland an die OECD berichtet, annähernd deckungsgleich mit jenen, die als Klimafinanzierung an die UNFCCC gehen. Das bestätigte uns auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): „Grundsätzlich werden alle Projekte, die mit einer Klimakennung an die OECD gemeldet werden, an die UNFCCC als Teil der Klimafinanzierung übermittelt.“

Die Datenbanken der OECD und des UNFCCC sind vergleichbar, da sie das gleiche Kategoriensystem verwenden. 

Nur klimarelevante Projekte werden in die Klimafinanzierung eingerechnet. Die Klimarelevanz wird mit diesen Kategorien bewertet:

  • Klimaschutz: Projekte, die Treibhausgasemissionen reduzieren.
  • Klimaanpassung: Projekte, welche die Widerstandsfähigkeit gegenüber den Folgen des Klimawandels erhöhen.
  • Anpassung und Schutz („cross-cutting“): Projekte, auf die beides zutrifft.

Für Klimaschutz und Klimaanpassung wird angegeben, ob es sich um ein Haupt- oder Nebenziel des Projektes handelt. Zusammen ergeben sich die sogenannten „Rio-Marker“. 

Die Skala reicht von null bis zwei. Ein Projekt mit einem Rio-Marker Zwei bedeutet, dass das Hauptziel Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel oder zum Klimaschutz sind. Eine Eins bedeutet, dass klimarelevante Maßnahmen nur ein Nebenziel sind. 

Die Rio-Marker werden genutzt, um die Projektausgaben anteilig an die Klimafinanzierung zuzurechnen. Das machen die Industriestaaten jedoch nicht einheitlich. In Deutschland funktioniert es so:

  • Wenn das Hauptziel des Projekts klimarelevant ist, werden 100 Prozent der Projektkosten als Klimafinanzierung angerechnet.
  • Wenn nur ein Nebenziel des Projekts klimarelevant ist, dann werden 50 Prozent der Projektkosten als Klimafinanzierung angerechnet.
  • Wenn sowohl Klimaschutz als auch Klimaanpassung Nebenziele sind, werden allerdings 100 Prozent der Projektkosten zur Klimafinanzierung angerechnet.

Oxfam kritisiert diese Form der Berechnung. Der Anteil werde häufig zu hoch angesetzt und verzerre die tatsächlichen Ausgaben. 

Wie hoch wäre die deutsche Klimafinanzierung, wenn die Rechenweise anders wäre?

Berechne die deutsche Klimafinanzierung selbst
Ergebnis

Die deutsche Klimafinanzierung wäre dann:

9,94 Milliarden Euro

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Nicht nur die Berechnungsweise wird kritisiert. Bei der Vergabe der Rio-Marker werden oft Projekte zur Klimafinanzierung angerechnet, die nur zum Bruchteil zum Klimaschutz oder zur Anpassung an die Klimakrise beitragen. Das hat auch damit zu tun, dass der Begriff Klimafinanzierung nicht klar in der UN-Klimarahmenkonvention definiert wurde. Die Folge davon ist, dass die Industriestaaten dieses breite Spektrum ausreizen.

Hier ein Beispiel aus Deutschland, um das Problem mit den Datenbanken, der Kategorisierung und der Definition zu verdeutlichen:

In den OECD-Daten aus dem Jahr 2022 finden wir ein Projekt, das Deutschland in Syrien finanziert hat. Das BMZ hat Geld vergeben, um „traditionelle Landwirtschaft“ in Nordost-Syrien zu stärken. So sollen sich die Bedingungen für „die freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen“ verbessern. Das Projekt hat Klimaanpassung als Nebenziel. Das heißt, 50 Prozent der Projektkosten könnten als Klimafinanzierung angerechnet werden.

Um zu überprüfen, ob das tatsächlich der Fall war, reicht eine Nennung in der OECD-Datenbank allerdings nicht aus. Die Daten der UNFCCC, die als offizielle Klimafinanzierung gelten, reichen bis 2020. Das Projekt für freiwillige Rückkehrer ist allerdings von 2022. Also schauen wir in einer dritten Datenbank nach. Was Deutschland an die EU meldet, meldet es fast genau so an das UNFCCC. Die Projektbeschreibungen der EU-Datenbank sind allerdings genauso spärlich wie bei jener UNFCCC. 

In der EU-Datenbank finden wir Projekte, die Deutschland für das Jahr 2022 in Syrien anführt. Eines dieser Projekte wird beschrieben als „technische Hilfe in der Landwirtschaft“ für Binnenflüchtlinge – allerdings steht dort nichts von freiwilligen Rückkehrern. Also gehen wir zu einer vierten Datenbank, jener des BMZ. Denn dieses Ministerium hat das Projekt finanziert.

Wir finden wieder ein Projekt, das in Syrien 2022 finanziert wurde und, das wir in der OECD-Datenbank gefunden haben. Könnte passen. Aber: Es wurde zwar kategorisiert im Sektor „Landwirtschaft“, enthält allerdings keine Projektbeschreibung, sondern nur den Satz: „Diese Information ist für diese Maßnahme nicht verfügbar.“ Also haben wir beim BMZ nachgefragt. Das Ministerium antwortete, dass das Projekt „als Teil der deutschen Klimafinanzierung gemeldet wurde, da Klimaanpassung ein wichtiges Nebenziel ist.“

Dieses Beispiel zeigt, wie intransparent und schwer nachvollziehbar die Daten sind. Und es zeigt, wie breit der Begriff Klimafinanzierung ausgelegt wird. Denn das genannte Projekt hat ebenso eine migrationspolitische Komponente, die sich mit der zunehmend restriktiveren Abschiebepolitik deckt. 

„Doppelte politische Dividende“

Nicht nur was Klimafinanzierung ist, wurde vage definiert, auch woher das Geld kommen soll. In der UN-Klimarahmenkonvention steht zwar, dass die Finanzierung „neu und zusätzlich“ sein soll, was das genau bedeutet, bleibt unklar. Im Jahr 2023 stammten in Deutschland 78 Prozent der Klimafinanzierung aus dem Haushalt des BMZ. Fast die Hälfte des Gesamtbudgets dieses Ministeriums fließt in Klimaprojekte. Die Wirtschaftswissenschaftlerinnen Ina Sieberichs und Ann-Kristin Becker von der Universität zu Köln kritisieren dies: „Klimafinanzierung ist wichtig, nur sollte sie nicht zu Lasten des Budgets für wirtschaftliche Zusammenarbeit gehen.“

Dadurch würde das Geld an anderen Ecken fehlen, wie beispielsweise bei Projekten, die den Gesundheitsbereich verbessern wollen. „Indem Deutschland ‚stolz‘ verkündet, dass sowohl die Ziele der Klimafinanzierung als auch die angestrebte Quote der Entwicklungshilfe erreicht wurden, sieht es so aus, als würde sich Deutschland eine doppelte politische Dividende zuschreiben,“ so Sieberichs und Becker.

In den nächsten Tagen wird auf der Weltklimakonferenz entschieden, wie es mit der Klimafinanzierung weitergeht. Die UN-Umweltbehörde (UNEP) sagt, dass 100 Milliarden US-Dollar jährlich nicht ausreichen. Alleine für die Anpassung an den Klimawandel brauche es jährlich 160 bis 340 Milliarden US-Dollar bis 2030. Und die Anpassung an den Klimawandel ist nur ein Teil der Klimafinanzierung. Das Geld, das für die Emissionsreduktion für den Klimaschutz gebraucht wird, ist dabei noch nicht enthalten.

Diese Recherche hat damit begonnen, dass sich vier Journalist*innen aus Frankreich, Schweden, Großbritannien und der Türkei bei uns gemeldet haben. Sie planten, die Klimafinanzierung genauer unter die Lupe zu nehmen, Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu stellen und Daten zu analysieren. Finanziell unterstützt wurden die Journalist*innen vom Journalismfund. Ein Text zur gemeinsamen Recherche wird bei dem britischen Online-Medium Carbon Brief veröffentlicht.

Wir haben einige Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt – allerdings ohne die angefragten Informationen zu bekommen. Vor allem wollten wir Dokumente zu Projekten, die als Klimafinanzierung deklariert wurden, von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Die Auskunft wurde uns verweigert, da sich die KfW nicht als Behörde im Sinne des Informationsfreiheitsgesetzes sieht.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat allerdings entschieden, dass die KfW nach dem Informationsfreiheitsgesetz auskunftspflichtig sei. Das Ministerium hat Berufung eingelegt, weshalb die Klage noch in der nächsten Instanz verhandelt wird. 



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