Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke versprach der Öffentlichkeit, dass es in Brandenburg keine Vorzugsbehandlung für Tesla geben werde. Allerdings zeigen interne Dokumente der Landesregierung, wie der Staat das Unternehmen des Milliardärs Elon Musk umwirbt. Gemeinsam mit Stern haben wir die Protokolle von mehr als 30 Spitzentreffen zwischen Vertretern der Landesregierung und dem Automobilhersteller ausgewertet. Sie zeigen einen überraschend unkritischen Umgang mit bekannten Skandalen und Problemen rund um die Tesla-Fabrik in Brandenburg.
Die Staatskanzlei reagierte erst nach Einreichung der Klage
Seit November 2019 trifft sich die „Tesla Task Force“ regelmäßig. Sie soll die Ansiedlung des Weltkonzerns in Brandenburg begleiten. An den Terminen nehmen Vertreter von Tesla und der brandenburgischen Landesregierung teil, darunter mehrere Minister, der Regierungssprecher und Ministerpräsident Woidke persönlich. Wir veröffentlichen die Protokolle aller 32 Sitzungen zwischen 2019 und Mai 2023 – dem Zeitpunkt, zu dem wir die Unterlagen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) angefordert haben. Allerdings gab die Staatskanzlei die Dokumente erst neun Monate später heraus und auch erst, nachdem wir gegen die Behörde geklagt hatten.
Diese Dokumente geben Einblick in die Task Force, deren Geheimniskrämerei und Geheimhaltung von Anfang an bei Kritikern Misstrauen erregte. Es bleibt der Eindruck, dass Woidkes Versprechen nur nette Worte waren und Tesla eine Sonderbehandlung genossen hat. Auch hinter verschlossenen Türen schwieg Woidkes Regierung den Unterlagen zufolge zu den wiederholten Gesetzesverstößen, Unfällen und Unfällen auf dem Tesla-Gelände, über die viel berichtet wurde. Oder sie hat sie herabgesetzt.
„Chefsache“ mit intensiver Betreuung
Bereits beim ersten Treffen am 22. November 2019 machte Woidke deutlich, dass er sich eine Sonderbehandlung des Unternehmens durch seine Minister und Behördenchefs sehr wünsche. Nur zehn Tage nachdem Musk Brandenburg den Zuschlag für den Standort der neuen Fabrik erteilt hatte, erklärte Woidke das Projekt zur „höchsten Priorität“. Den Unterlagen zufolge betonte er die „Dringlichkeit des gesamten Projekts“, das „eine intensive Unterstützung über einen langen Zeitraum“ erforderte. Tesla wollte die Fabrik innerhalb von rund zwei Jahren bauen, schneller, als jemals eine Industrieanlage dieser Größe in Deutschland genehmigt wurde. Und Woidke erwartet, dass „alle Abteilungen dem Projekt absolute Priorität einräumen“.
Einen Monat später forderte Ministerpräsident Woidke in der zweiten Sitzung seine Mitarbeiter auf, „ihr Tempo zu steigern“. Denn: „Die Landesverwaltung hat versprochen, dass wir alles tun werden, um dem Unternehmen bei seinem Gigaprojekt zum Erfolg zu verhelfen.“ Wie passt das dazu, dass Woidke seinen Regierungsmitarbeitern öffentlich „Geduld“ versprach? damit sie die Möglichkeit haben, „die einzelnen Schritte des Genehmigungsverfahrens rechtlich korrekt abzuwickeln“?
Kein Wort über Skandale
Aber noch interessanter ist, was im Protokoll nicht erwähnt wird. Seit Projektbeginn sorgte die Tesla-Fabrik für zahlreiche Aufsehen erregende Skandale: Verstöße gegen Baugenehmigungen im Trinkwasserschutzbereich, fahrlässiger Umgang mit Gefahrstoffen und Umweltunfälle sowie Berichte über schwere und schwerste Arbeitsunfälle wie Verbrennungen , Vergiftungen, Knochenbrüche, Stromschläge und abgetrennte Gliedmaßen.
Einige Beispiele:
- Im Mai 2020 erwischten Anwohner Tesla dabei, wie er im Trinkwasserschutzgebiet illegal Pfähle in den Boden rammte. Beim nächsten Treffen der Task Force: kein Wort.
- Im Juni 2022 entdeckte ein Kontrolleur der Umweltbehörde eine illegale Lagerung gefährlicher Stoffe auf dem Tesla-Grundstück. Kein Thema in der Task Force.
- Im Juli 2022 beschwerte sich ein Arbeitssicherheitsinspektor beim Gesundheitsministerium über wiederkehrende Probleme bei den wöchentlichen Arbeitssicherheitsinspektionen der Fabrik. In der Task Force: Stille.
- Im September 2022 brannte auf dem Fabrikgelände zweimal hintereinander eine von Tesla illegal eingerichtete Recyclinganlage. Der Vorfall sorgt landesweit für Schlagzeilen, wird in der Task Force jedoch nicht diskutiert.
Wenn Ministerpräsident Woidke oder andere Regierungsvertreter in den Sitzungen Kritik äußern, geht es um die Berichterstattung über die Skandale und das dadurch in Mitleidenschaft gezogene Image des Großkonzerns in der Öffentlichkeit. Im Mai 2021 wies die Staatskanzlei eine 45-minütige ZDF-Dokumentation über den Tesla-Vergleich als „einseitig“ zurück und empfahl dem Ministerpräsidenten, bei dem Treffen nicht darauf einzugehen. Nach einem kritischen Bericht im Stern sagte Woidke bei der Sitzung im Januar 2023, man dürfe sich nicht von öffentlichen Diskussionen mitreißen lassen. Woidke oder seine Minister reagieren auf viele Enthüllungen in den Medien und die Sorgen von Anwohnern und Umweltschützern überhaupt nicht oder defensiv. Die Gelegenheit, Tesla-Vertreter direkt auf die bekannt gewordenen Probleme anzusprechen, nutzen sie offenbar nicht.
Stern und FragDenStaat haben die Staatskanzlei um eine Stellungnahme gebeten. Auf zahlreiche Detailfragen zu konkreten Vorkommnissen und Treffen verwies der Regierungssprecher lediglich darauf, dass es sich um Ergebnisprotokolle handele und nicht den gesamten Verlauf der Sitzung widerspiegele. Die Frage, ob und wenn ja, was zu den jeweiligen Vorfällen auf dem Tesla-Gelände besprochen wurde, ließ der Regierungssprecher – der persönlich in der Task Force engagiert ist – in allen Fällen unbeantwortet.
Wir warten derzeit noch auf die Protokolle der letzten Sitzungen der Tesla Task Force. Zumindest besteht die Hoffnung, dass die Staatskanzlei für die Beantwortung einer IFG-Anfrage nicht noch einmal neun Monate und eine Klage braucht. Diese Woche berichtete der Tagesspiegel über die Inhalte der letzten Task-Force-Sitzungen und behauptete, alle aktuellen Protokolle vorliegen zu haben. Demnach wird sich der weitere Ausbau der Tesla-Fabrik vorerst verzögern. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Dokumente zur Veröffentlichung in der Staatskanzlei bereitstehen sollten. Wir freuen uns!
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